GLOBALE RISIKEN IM ZUGE DES UKRAINE-KRIEGS

Diese Themenseite betrachtet kaskadierende und systemische Risiken, die im Zuge des Ukraine Kriegs nun verstärkt in der Krisen- und Katastrophenvorsorge berücksichtigt werden müssen.

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Ein Jahr Krieg gegen die Ukraine

Wie schnell sich die Welt ändern kann, zeigen nicht nur Krisen, wie die COVID-Pandemie, sondern auch der Krieg in der Ukraine. Seit nunmehr einem Jahr herrscht Krieg in Europa. In einer Zeit multipler globaler Krisen stellt die seit dem 24. Februar 2022 völkerrechtswidrige Invasion Russlands in die Ukraine eine menschliche Tragödie dar, wie es sie in Europa seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat und das Selbstverständnis von Frieden in Europa tief erschüttert hat. Dieser Krieg hat bereits zu Zehntausenden von Toten und Millionen von Flüchtlingen geführt – Menschen, die aus der Ukraine fliehen oder solchen die innerhalb des Landes vertrieben werden (OECD 2023). Die globalen kaskadierenden und systemischen Risiken, die dieser Krieg mit sich bringt, zeigen „wie sehr unser Leben und unsere lebenserhaltenden Systeme mittlerweile miteinander verflochten sind und wie sehr Friedenssicherung zugleich globale Umwelt-, Agrar-, Gesundheits-, Sozial-, Finanz-, Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik ist und daher anhaltend die höchste Priorität für das Handeln der Weltgemeinschaft (UN) haben muss“ (Schwarze 2022a:2).  

Was sind kaskadierende und systemische Risiken?

kaskadierende Risiken

Schlüsselcharakteristiken von Kaskadierenden Risiken (übersetzt, nach UNDRR 2021) 

Unter kaskadierendem Risiko versteht man ein Risiko, das durch das Auftreten von zwei oder mehr aufeinanderfolgenden Ereignissen entsteht, wobei das erste Ereignis ein oder mehrere Ereignisse auslösen kann (UNDRR 2021). 

systemische Risiken

Schlüsselcharakteristiken von Systemischen Risiken (übersetzt, nach UNDRR 2021)

Das systemische Risiko ist die Summe der verschiedenen Risikomuster, einschließlich Kaskaden- und Verbundrisiken. Es ist systemimmanent oder eingebettet in ein System, das selbst nicht als Risiko angesehen wird und daher im Allgemeinen nicht erhoben wird, von dem aber durch die Systemanalyse bekannt ist, dass es ein latentes oder kumulatives Risikopotenzial hat, das sich negativ auf die Gesamtleistung des Systems auswirken kann, wenn sich einige Merkmale des Systems ändern (UNDRR 2021).

Im Folgenden wird auf die globalen Folgen des Kriegs auf die Ernährungssicherheit; Energiesicherheit und Klimaschutz; Vertreibung, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit; finanzielle Risiken; technologische und Cyber-Risiken; Umwelt- und Gesundheitsrisiken; Internationale Zusammenarbeit sowie Zivilschutz eingegangen.  

Ernährungssicherung

Vor der russischen Invasion in die Ukraine exportierten Russland und die Ukraine zusammen ca. 30% der weltweiten Weizenlieferungen. Durch den Krieg ist die Ernährungssicherheit von Millionen Menschen gefährdet, aber auch Exporte anderer wichtige Produkte wie Sonnenblumenöl und Düngemittel sind beeinträchtigt. Weltweit sind die Lebensmittelpreise und Transportkosten zeitweise extrem angestiegen. Dies betrifft vor allem Länder des nördlichen Afrikas, die stark von Importen aus der Ukraine abhängig sind. Durch den Krieg leben Landwirt:innen in der Ukraine in ständiger Gefahr, Anbauflächen werden beschädigt, Versorgungswege unterbrochen und auch Lagerräume sind nicht mehr sicher, was sich auch in globalen Lieferketten bemerkbar macht, die durch die COVID-Krise bereits beeinträchtigt wurden (Schwarze 2022b).  

Vertreibung, soziale Sicherung und Gerechtigkeit

Seit Beginn des Krieges sind Millionen Menschen auf der Flucht. Die meisten werden innerhalb der Ukraine vertrieben, viele kommen aber auch in die Europäische Union, sodass diese Flüchtlingsbewegung die größte in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg geworden ist (UNRIC 2022). Gerade im Bereich der erzwungenen Mobilität werden kaskadierende und systemische Risiken deutlich. Vorrangig vulnerablen Gruppen, die von Armut, Behinderung, sozialer Ausgrenzung oder anderen Faktoren geprägt sind und durch den Krieg traumatische Erfahrungen sammeln mussten, brauchen besondere Unterstützung, die meist an den Aufnahmeorten nicht gewährleistet werden können. Je länger der Krieg dauert, desto unsicherer und gefährlicher wird eine mögliche Rückkehr für viele Menschen. Die unsicheren Verhältnisse für Flüchtlinge sowie Daheimgebliebene werden durch die wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-Pandemie sowie den hohen Lebensmittel- und Energiepreisen nochmal verstärkt (Schwarze 2022a). 

Technologische und Cyber-Risiken

Die Technologiebranche ist sehr globalisiert und somit durch den Krieg beeinträchtigt, da Lieferketten immer wieder unterbrochen werden. Zulieferungen für beispielsweise die Automobilindustrie sind abhängig, ob Güterzüge, beispielsweise auch von China, durchkommen. Auch große Containerschiffe können nicht immer Häfen in der Ukraine anfahren und große Reedereien laufen Russland nicht mehr an (Deutschlandfunk 2022). Auf der anderen Seite erhöhen Cyberangriffe das Risiko für technologische Katastrophen. Gezielte Angriffe auf kritische Infrastrukturen und wichtige Dienste können verheerende Kaskadeneffekte mit sich ziehen und „ein lang anhaltendes Chaos in wichtigen Wirtschafts-, Versorgungs- und Gesundheitssystemen verursachen“ (Schwarze 2022a:10). 

Zivilschutz

Die zivile Verteidigung bekommt durch den Ukraine Krieg einen neuen Stellenwert. Nun soll in Deutschland nicht nur das zwei Prozent Budgetziel der NATO erfüllt werden, die Bundeswehr bekommt auch ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro. Zusätzlich sind auch Mittel speziell für den Zivilschutz geplant, da dieser aufgrund der bislang gefühlten Sicherheit nicht für mögliche Bedrohungslagen vorbereitet ist (BMVG 2022). 

Energiesicherheit und Klimaschutz

Russland gehörte weltweit zu den führenden Exporteuren fossiler Brennstoffe. Öl und Gas sind im Zuge des Kriegs gegen die Ukraine teurer geworden, da Russland die Gaslieferungen an mehrere EU-Mitgliedstaaten ausgesetzt hat und diese gleichzeitig die Abhängigkeit von Russland verringern wollen und somit möglichst wenig Erdöl importieren (Europäischer Rat 2023). Die höheren Energiepreise wirken sich auf die Lebenshaltungskosten aus, verstärken die Inflation und Marktvolatilität und beeinflussen die weltweite Armut negativ (Schwarze 2022a). Um dem entgegen zu wirken, setzten einige Länder auf klimaschädliche Energieformen, die im Sinne des Pariser Abkommens eigentlich reduziert werden müssen, um das 1,5°C Ziel auch nur annähernd zu erreichen. Im Sinne des Klimaschutzes sollte nun die Chance genutzt werden, erneuerbare Energien zu priorisieren und energieeffizient zu wirtschaften anstatt Kohle- und Kernenergie wieder vermehrt zu nutzen (Schwarze 2022a). 

Finanzielle Risiken

Die wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen gegen Russland sowie die Kriegsschäden in der Ukraine führen zu weltweiten finanziellen Risiken. Dazu gehören zum Beispiel eine steigende Inflation, teure Rohstoffpreise, schwankende Wechsel- und Aktienkurse, Spreads von Staatsanleihen, sowie verschärfte Finanzbedingungen und Kapitalflüsse. Durch die Globalisierung und multiple Handels- und Finanzverflechtungen waren bereits mit Beginn des Krieges in diesen Sektoren negative Auswirkungen spürbar. Der Ausschluss russischer Banken vom internationalen Zahlungssystem SWIFT kann zudem zu Verwerfungen im Finanzsystem führen. Weitere systemische Risiken zeigen sich vor dem Hintergrund, dass die Weltwirtschaft von der COVID-Pandemie immer noch beeinträchtigt ist, Inflationsprognosen ansteigen und somit geplante Mittel (z.B. für nachhaltige Entwicklung, humanitäre Hilfe, Bildung und Sozialpolitik, aber auch für die Minderung der Treibhausgasemissionen, das Katastrophenrisikomanagement und die Anpassung an den Klimawandel) umgewidmet werden können (Schwarze 2022a). 

Umwelt- und Gesundheitsrisiken

Der Krieg stellt ein hohes Risiko für die Umwelt da, sowohl regional als auch global. Durch den Einsatz von Feuerwaffen kommt es vermehrt zu Waldbränden, die nicht nur die Umwelt belasten, sondern auch ein Gesundheitsrisiko durch freigesetzte Schadstoffe darstellen. Der Einsatz von Giftstoffen sowie radioaktiven Stoffen belastet zusätzlich Luft, Wasser und Boden, aber auch die Gesundheit der Bevölkerung. Es gibt Hinweise auf eine starke Luftverschmutzung, Bodendegradation und Treibhausgasemissionen infolge der intensiven Kämpfe (Pereira et al. 2022). Gesundheitsrisiken entstehen zusätzlich durch Ausbrüche von Infektionskrankheiten, da hygienische und medizinische Standards in Kriegsgebieten oft nicht aufrecht gehalten werden können. Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, desto mehr steigt das Risiko an Krankheitsausbrüchen, da der Zusammenhang zwischen Krieg und Krankheitsausbrüchen seit Jahrhunderten bekannt ist (Schwarze 2022a). 

Internationale Zusammenarbeit

Um globale Herausforderungen wie den Klimawandel zu meistern, ist internationale Zusammenarbeit unerlässlich. Der Ukraine-Krieg droht dies nun zu erschweren, indem Ressourcen, die für die Transformation in eine nachhaltige Zukunft wichtig sind, abgezogen werden. „Jede Kürzung der Finanzmittel für Risikominderung, den Klimawandel oder humanitäre Hilfe wird in den ärmsten und am wenigsten entwickelten Ländern am stärksten zu spüren sein“ (Schwarze 2022a:13). „Darüber hinaus hat der Krieg Auswirkungen auf globale Ordnungsfragen. Dies betrifft den Systemkonflikt zwischen westlichen, liberalen Demokratien und autoritären Systemen ebenso wie die Machtkonstellation zwischen Russland, China und den USA“ (SWP 2023). 

Zukunftsaussichten

Zukunftsaussichten für komplexe Krisen, Katastrophen aber auch Kriege zu erarbeiten, ist sehr schwierig, vor allem dann, wenn gleichzeitige Katastrophen krisenverstärkend wirken. „Der Krieg in der Ukraine findet zu einem kritischen Zeitpunkt in der Weltgeschichte statt. Er stellt eine zusätzliche Belastung für die globalen Systeme der Krisenbewältigung dar, die immer noch mit der anhaltenden COVID-19-Pandemie und ihren Auswirkungen zu kämpfen haben und sich in einem immer kleiner werdenden Zeitfenster mit der Bewältigung der existenziellen Klimakrise auseinandersetzen müssen“( Schwarze 2022a:2). 

Kaskadierende und systemische Risiken genauer zu betrachten, ist ein wichtiger Schritt, um komplexe Lagen besser zu verstehen und entsprechende Maßnahmen zur Resilienzsteigerung und Risikovorsorge anzugehen, indem Sektor übergreifendes systemisches Handeln gefördert wird. Nur wenn gemeinsame wissenschaftliche, politische und gesellschaftliche Anstrengungen unternommen werden, können Risikodynamiken besser verstanden, minimiert, vorgebeugt und gemanaged werden.  

Erstellt: Februar 2023